Das aktuelle Schweizer Erbrecht ist über 100 Jahre alt und in dieser Zeit kaum verändert worden. Den heutigen Lebensumständen und Familienmodellen wird es daher nicht mehr gerecht. Das neue Erbrecht, das 2023 in Kraft tritt, trägt den gesellschaftlichen Veränderungen Rechnung, indem es mehr Selbstbestimmung bei der Nachlassregelung zulässt. Was ändert sich mit der Gesetzesrevision und wie können die neuen Freiheiten genutzt werden?

Peter Bollhalder, 24. Juni 2022
 

Revision des Erbrechts



Was will das neue Recht?

Das neue Erbrecht passt sich den stark veränderten Lebensrealitäten an und lässt mehr Freiheiten bei der Verteilung des eigenen Nachlasses zu. Um dies zu verstehen, ist es wichtig, den Unterschied zwischen Erb- und Pflichtteil zu kennen: Beim Erbteil handelt es sich um den Anspruch, den Erben an eine Erbschaft haben. Mit einem Testament kann die Verteilung des Nachlasses bis zu einem gewissen Grad nach den eigenen Vorstellungen gestaltet werden. Dieser Verfügungsfreiheit werden jedoch durch sogenannte Pflichtteile Grenzen gesetzt. Sie regeln den Mindestanteil am Erbe, den Nachkommen, Ehegatten, eingetragene Partner und – sofern keine Nachkommen vorhanden sind – auch Eltern erhalten.

Diese Pflichtteile werden mit der aktuellen Revision nun reduziert. Dadurch erhöht sich der Handlungsspielraum bei der Nachlassplanung. So können nun einfacher einzelne Personen stärker begünstigt werden, beispielsweise in Patchwork-Familien. Auch die Unternehmensnachfolge innerhalb der Familie wird dadurch erleichtert, da nun zum Beispiel das Kind, das den Betrieb übernimmt, testamentarisch stärker berücksichtigt werden kann.


Reduzierte Pflichtteile geben mehr Freiheit

Die Revision ändert an den Grundprinzipen des schweizerischen Erbrechts nichts. Von Gesetzes wegen erben nach wie vor die nächsten Verwandten und die Ehegatten oder eingetragenen Partnerinnen und Partner. Auch die Erbteile bleiben unverändert. Angepasst werden hingegen die Pflichtteile. Aktuell stehen Kindern drei Viertel ihres gesetzlichen Erbteils als Pflichtteil zu. Dieser Teil wird nun auf die Hälfte reduziert. Der Pflichtteil der Eltern wird ganz abgeschafft. Derjenige des Ehepartners oder der Ehepartnerin und des eingetragenen Partners bzw. der eingetragenen Partnerin bleibt unverändert bei der Hälfte des gesetzlichen Erbanspruchs. Durch die Reduktion der Pflichtteile erhöht sich die frei verfügbare Quote. Dies ist der Teil des Nachlasses, der gemäss eigenen Wünschen mit einem Testament oder Erbvertrag vererbt werden kann.

Revision des Erbrechts – So ändern sich die Pflichtteile


Auswirkungen auf Ehegüterecht und Eigentumsquote

Die Revision bringt aber noch mehr mit sich. Sie hat auch Auswirkungen auf das Ehegüterrecht: Eheverträge, welche die Begünstigung des überlebenden Ehegatten oder der überlebenden Ehegattin bezwecken, werden bereits mit der Einleitung der Scheidung – oder des Auflösungsverfahrens bei eingetragenen Partnerschaften – hinfällig und nicht erst mit der Rechtskraft des Urteils. Gleichzeitig gehen auch die Pflichtteilsansprüche der Ehegatten oder eingetragenen Partner unter. Letztwillige Anordnungen, mit denen sie sich gegenseitig begünstigen, verlieren ihre Gültigkeit.

Die Reduktion des Pflichtteilsrechts wirkt sich auch auf die Regelung in Art. 473 des Zivilgesetzbuchs aus. Diese besagt, dass der überlebende Elternteil einen Teil der Erbschaft zu Eigentum erhält und am Restnachlass, den die Kinder erben, nutzniessungsberechtigt ist. Durch die Revision wird der überlebende Elternteil begünstigt, indem sich sein Eigentumsanteil von einem Viertel auf die Hälfte erhöht.

Eine weitere Neuerung: Wer in seinem Erbvertrag andere Vertragsparteien begünstigt, der darf aus seinem Vermögen nichts mehr verschenken oder vererben. Neu kann im Erbvertrag festgehalten werden, dass dies doch noch möglich sein soll.


Bestehende Nachlassplanungen hinterfragen

Die Revision des Erbrechts gibt dem Erblasser oder der Erblasserin zwar mehr Flexibilität, die Vermögenswerte nach seinen oder ihren Wünschen zu verteilen. Um diese Freiheiten zu nutzen und die eigenen Vorstellungen in die Praxis umzusetzen, muss aber eine erbrechtliche Regelung wie z.B. ein Testament erstellt werden. Auch wenn es bereits eine Nachlassplanung gibt, macht es Sinn, diese mit Blick auf die Gesetzesrevision zu hinterfragen wie die folgenden Beispiele zeigen: Haben Sie in einem Testament oder Vertrag Ihre Kinder auf den Pflichtteil gesetzt, ohne festzulegen, wie hoch er ist? Dann verringert sich der Anspruch Ihrer Kinder von aktuell drei Viertel des gesetzlichen Erbanspruchs auf neu die Hälfte. Ist das von Ihnen so nicht gewollt, müssen Sie handeln und die Quote, die Ihren Kindern minimal zustehen soll, schriftlich festhalten.

Ähnlich sieht es bei den Eltern aus. Sind diese von Ihnen auf den Pflichtteil gesetzt worden, gehen sie nach dem 1. Januar 2023 leer aus, da der Pflichtteilsanspruch für Eltern nicht mehr besteht. Wollen Sie ihnen doch etwas vermachen, müssen Sie dies zu Papier bringen.

Besteht zwischen Ihnen und Ihrer Ehefrau bzw. Ihrem Ehemann ein Ehevertrag, in dem Sie sich gegenseitig begünstigen? Unter dem neuen Recht ist dieser Vertrag mit der Einleitung des Scheidungsverfahrens automatisch nicht mehr wirksam. Wollen Sie das nicht, dann sollten Sie handeln und die Sache nach Ihrem Willen regeln.

Haben Sie einen Erbvertrag abgeschlossen, in dem Sie andere Vertragsparteien als Erben eingesetzt haben? Dann können Sie künftig nichts mehr verschenken oder weitere Erben einsetzen, wenn Sie damit die Ansprüche der im Erbvertrag Begünstigten schmälern. Wollen Sie sich nicht so stark einschränken, sollten Sie festhalten, dass es Ihnen erlaubt ist, beispielsweise auch künftig Schenkungen vorzunehmen.


Wie gehen Sie vor?

Möchten Sie die zusätzlichen Freiheiten, die die Revision des Erbrechts eröffnet, nutzen und Ihren Nachlass regeln? Oder möchten Sie prüfen lassen, ob Ihre bestehende erbrechtliche Regelung auch unter dem neuen Erbrecht noch Ihrem Willen entspricht? Wenn ja, lohnt es sich auf jeden Fall, einen Spezialisten oder eine Spezialistin hinzuzuziehen.

 

---
Peter Bollhalder ist studierter Jurist und seit 1996 bei der Schaffhauser Kantonalbank tätig. Als Erbschaftsberater unterstützt er seit vielen Jahren Kundinnen und Kunden bei Nachlass- und Steuerfragen.

 

Zurück zum Magazin